6 Gründe, warum Igor Levit aktuell der beste Pianist der Welt ist


Im Jahr 2010 kam die FAZ-Journalistin Eleonore Büning von einer China-Reise zurück, wo sie und Igor Levit wegen des unaussprechlichen Vulkans Eyjafjallajökull  nicht aus China ausreisen konnten.

Mehrere Konzertbesuche in Folge später war Büning begeistert und bezeichnete den jungen Pianisten, der noch nicht einmal ein Examen hatte, bereits jetzt schon als einen der großen Pianisten des Jahrhunderts.

Für mich ist Igor Levit aktuell die Nummer 1, was nicht nur an seiner Extraklasse an den Tasten, sondern auch einigen weiteren Dingen liegt.

Wer ist Igor Levit?

Igor Levit wurde 1987 in Russland als Sohn einer Professorin für Musikpädagogik und eines Ingenieurs geboren. 1995 siedelte Familie Levit nach Deutschland über und Igor wuchs fortan in Hannover auf.

Wenig überraschend für eine so musikalische Familie begann auch Igor sehr früh mit dem Klavierspiel: Den ersten Unterricht erhielt er mit 3 Jahren von seiner Mutter, bereits ein Jahr folgte der erste Auftritt.

Eine typische Wunderkind-Karriere folgte, hier ein paar Auszüge:

  • Aufführung von Händels F-Dur-Klavierkonzert mit sechs Jahren
  • Beginn des Klavier-Frühstudium im Alter von 13 Jahren als Hochbegabter in Hannover
  • Parallel weltweite Konzertauftritte
  • Studienabschluss mit der höchsten Punktzahl in der Geschichte der Hochschule

Inzwischen ist Igor Levit ein gefeierter Konzert- und Studiopianist. Dazu ein Marketing-Meister, der es schafft, ständig in der Öffentlichkeit präsent zu sein. Aber keinesfalls unangenehm-aufdringlich, wie es bei anderen Musik-Sternchen zu beobachten ist.

Warum der Deutsch-Russe aktuell der spannendste Pianist der Welt ist, lest ihr in den folgenden Abschnitten.

Igor Levit

1. Brillanter Pianist und Beethoven-Gigant

Diverse Preise bei Klavierwettbewerben? Damit haben schon mehrere Pianisten aufhorchen lassen, die nur ein paar Jahre später wieder in der Masse untergegangen sind. Endgültig aufhorchen ließ Igor Levit durch seine Einspielung der vier späten Beethovensonaten, die im Herbst 2013 auf den Markt kam. Diverse Auszeichnungen, darunter unter anderem der Klassik Echo, und überwiegend begeisterte Kritiken folgten.

Endgültig in den Olymp der Beethoven-Interpreten kam Igor Levit mit der Einspielung aller 32 Beethoven Sonaten im Jahr 2019, die ebenfalls ein begeistertes Echo fand. Sogar in den deutschen Albencharts war die Platte zu finden (Platz 34!).

Igor Levits Spielweise ist eine Mischung aus brillant-virtuos und hochemotional. Während andere Pianisten beim Spielen oft wie Rumpelstilzchen aussehen, kommt die Kraft in Levits Spiel aus einer Art von innerem Feuerball.

Lange Jahre war Wilhelm Kempff für mich die klare Nummer 1 bei den Beethoven-Sonaten und immer der Pianist, mit dem ich andere Beethoven-Interpreten verglichen hatte.
Igor Levits Beethoven-Einspielungen haben mich absolut begeistert. Manche Stellen spielt er frappierend anders, als es meinen Hörgewohnheiten entsprach. Hier ein paar besondere Highlights:

  • Das Finale von Sonate 1 (Op. 2 No. 1): Waghalsig schnell, aber nie übers Ziel hinausschießend und geniale Dynamik.

  • Das Allegretto der Sturmsonate (No. 17, Op. 31 No. 2 Satz 3): Die Motive (die Sturmböen) höre ich bei keinem anderen Pianisten so schön gemalt, auch hier ist es wieder ein so schön reißend-fließendes Tempo und ein beeindruckendes Spiel mit der Lautstärke.

  • Die Hammerklaviersonate (No. 29, Op 106). Laut Musikkritiker Joachim Kaiser vermochte sie bisher nur Arthur Schnabel würdig zu spielen. Die Mischung aus Brillanz, flehendem Piano und toller Stimmenführung machen alle vier Sätze zu einem Hochgenuss.

Weil Beethovens Sonaten auch mein liebstes Gesamtwerk der Klaviermusik sind, hat sich Igor Levit mit seiner genialen Interpretation für mich schon alleine für die Champions League qualifiziert.

Aber auch, wie er zum Beispiel Schubert oder Bach spielt, ist einfach nur zum Genießen.

2. Kennt seine Grenzen

Chopin liebt Beethoven und Bach. Auch Schubert oder Jazzmusik gibt er gerne zum Besten. Es gibt aber auch Komponisten, von denen er die Finger lässt. Nicht, weil er sie nicht mag, sondern weil er sie nicht spielen kann.

So zum Beispiel Frederic Chopin.

„Chopin spiele ich tatsächlich gar nicht. Kann ich nicht. So einfach ist das!“

In einem Interview mit dem SZ Magazin gab er zu, er liebe Chopin und wenn jemand die Musik spielen könne. Aber wenn er es spiele, klinge es einfach nur furchtbar.

Auch wenn Levit mit einer Chopin-Interpretation wohl viele Fans glücklich machen würde. Er lässt die Finger davon.

Eine Tugend, die bei großen Pianisten nicht selbstverständlich ist. Nicht wenige meinen dann, sie könnten (und müssten) alle Komponisten spielen und stünden über den Kompositionen.

3. Radikaler Lebenswandel für den Erfolg

Schaut man sich Videoaufnahmen auf YouTube vom Rubinstein-Wettbewerb von vor 10 Jahren an, sieht man einen ganz anderen Igor Levit: Eine deutlich fülligere Figur.

Er stellt fest, dass ihn sein Gewicht daran hindert, das Maximum aus sich herauszuholen, stellt. Und nimmt innerhalb von eineinhalb Jahren 32 Kilogramm (!) ab. Eine Mischung aus Schwimmen, Fahrrad, Inline-Skating und Fitness verhalft Levit zu diesem rasanten Gewichtsverlust.

„Es hat alles verändert! Im Sitz, im Gefühl, im Bewusstsein für den Anschlag.“

Es gibt kaum übergewichtige Pianisten und das hat wohl seinen Grund.

Diesen aktiven Lebensstil hat Igor Levit seitdem beibehalten und man sieht regelmäßig Social-Media-Inhalte von ihm aus dem Fitnessraum.

Vermutlich ist ein besseres Klavierspiel nicht die einzige Motivation für den Lebenswandel von Igor Levit gewesen. Aber dieses Durchhaltevermögen und diese „Dedication“ zeigt, wie ernst Igor Levit sich selbst und seine Liebe zum Klavier nimmt.

4. Schafft es, Klaviermusik für Nerds und Laien zugänglich zu machen

Wenn Igor Levit über Klaviermusik und Kompositionen spricht, dann geschieht das nicht auf eine akademische Art und Weise, der nur Berufsmusiker folgen können. Sondern er schafft es, auf einzigartige Weise, seine Liebe zur Musik so zu formulieren, die sowohl für Klassik-Nerds als auch für absolute Laien zugänglich ist. Das perfekte Beispiel dafür ist der Klavier-Podcast, den Igor Levit zusammen mit Anselm Cybinski für BR Klassik aufgenommen hat. In der erste Staffel besprachen die beiden jede der 32 Beethoven-Sonaten. Die zweite Staffel befasst sich mit Klavier-Variationen. Absolut hörenswert und mein Lieblings-Klavierpodcast.  

5. Scheut sich nicht, zu polarisieren

Igor Levit ist sehr präsent in der Öffentlichkeit. Kaum ein Klassik-Künstler nutzte Twitter so intensiv wie Levit. Er nutzte die Plattform auch für politische Statements und setzte sich immer wieder vehement gegen den Antisemitismus und Flüchtlingshetze sowie für die Bemühungen gegen den Klimawandel ein.

Levit scheut sich nicht, unbequeme Dinge auszusprechen und eckt damit gerne auch mal an. Als 2018 die Rapper Kollegah und Farid Bang einen Echo bekamen, gab Levit seinen aus dem Jahr 2014 zurück. Das Rap-Album trete unter der Prämisse der Kunstfreiheit die Menschenwürde mit Füßen und er wolle damit ein Zeichen setzen.

Übrigens hat Igor Levit seinen enorm reichweitenstarken Twitter-Account nach mehreren Malen hin und her inzwischen endgültig gelöscht. Er sah sich immer größeren Hasswellen ausgesetzt, insbesondere auch nach Elon Musks Übernahme des Unternehmens.

6. Ein Botschafter für die Klaviermusik

Der chinesische Pianist Lang Lang ist ein anderer Superstar der Klaviermusik. Durch seine Auftritte bei “Wetten, dass” oder bei den Olympischen Spielen in Peking wurde er weit über die Klassik-Bubble hinaus bekannt. Er soll 14 Millionen chinesischer Kinder inspiriert haben, Klavier zu lernen.

Igor Levit ist ein komplett anderer Typ und überhaupt kein schillernder, effekthascherischer Megastar wie sein chinesischer Kollege. Dennoch sehe ich ihn auch als absoluten Botschafter für die klassische Musik. Durch seine klaren Statements, seine nach Außen getragene Liebe zur Klaviermusik (wie im BR-Podcast) und seine Reichweite über die Klassik-Grenzen hinweg ist er für mich auch ein absoluter Botschafter für die Klaviermusik.

Für die Hauskonzert-Streams in der Corona-Zeit und sein politisches Engagement erhielt Levit übrigens im Herbst 2020 das Bundesverdienstkreuz.

Die Basis bleibt natürlich sein brillantes und leidenschaftliches Klavierspiel, mit dem er die Konzertbesucher weltweit in den Bann zieht.

Diese Gründe sorgen dafür, dass Igor Levit für mich aktuell die Nr.1 der Pianisten ist. Und hoffentlich kommt bald eine neue Staffel seines Podcasts mit Anselm Cybinski.

Wer sind deine Lieblingspianisten? Ich freue mich auf  deinen Kommentar!


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