Bei Nichtpianisten erntet häufig die Fähigkeit, ein komplettes Stück auswendig zu spielen, große Bewunderung. Wer selber Klavier spielt, weiß aber, dass das Auswendiglernen keine Hexerei ist. Viele scheuen aber den minimalen Aufwand, den beim Klavier das Auswendiglernen von Stücken erfordert. Wer diese zusätzliche Mühe beim Erlernen eines Stückes nicht scheut, wird im Nachhinein dafür belohnt werden.
Warum auswendig lernen?
Gute Blattspieler, die auf Anhieb ein Stück zu 90 Prozent spielen können, sind häufig schlechte Auswendiglerner. Wer sich intensiver mit Stücken beschäftigt, wird häufig Erfahrungen mit dem Fingergedächtnis gemacht haben. Wenn man mit den Gedanken abschweift, spielen die Finger die Stelle häufig von allein, ohne dass man sie bewusst steuert. Dennoch geht es meist ohne Noten nicht, wenn man sich daran gewöhnt, sie als Hilfe zu verwenden. Die meisten schwierigen Passagen werden dennoch aus dem Gedächtnis gespielt, auch wenn die Noten auf dem Pult liegen.
Auf lange Sicht lernt man neue Stücke viel schneller durch Auswendiglernen als durch Benutzen der Noten. Man kann mitten im Stück beginnen und vermeidet deutlich schneller Spielfehler. Auch das Verständnis für die Musik steigt und das Spiel wird häufig deutlich ausdrucksvoller. Außerdem ist es toll, wenn man ein bestimmtes Repertoire auswendig beherrscht und Stücke vorspielen kann, ohne einen Stapel Noten mitzuschleppen.
Das Auswendiglernen beim Klavier ist wie Gehirnjogging und verlangsamt den altersbedingten Verfall des Gehirns. Das Gedächtnis wird verbessert und die Leistungsfähigkeit des Gehirns kann gesteigert werden.
Der Weg zum Auswendiglernen beim Klavier
Viele behaupten von sich, sie seien schlechte Auswendiglerner und könnten sich Stücke einfach nicht merken. Zu dieser Sorte habe auch ich lange gehört, trotz vieler Jahre Klavierunterricht konnte ich kaum ein Stück aus dem Gedächtnis vortragen. Mit der Zeit habe ich aber gelernt, wie wichtig das Auswendiglernen beim Klavier ist. Meine klaviertechnischen Fähigkeiten haben sich schlagartig deutlich verbessert und ich konnte auch recht anspruchsvolle Stücke erlernen.
Häufig wird das Auswendiglernen beim Klavier als zeitraubende Aktivität angesehen und viele wollen diese „sinnlose Zeit“ nicht aufwenden. Besonders bei etwas anspruchsvolleren Stücken sinkt die Zeit, die für das Erlernen benötigt wird, durch das Auswendiglernen jedoch dramatisch. Wenn man ein Stück intensiv übt, kann man das Auswendiglernen quasi umsonst dazubekommen.
Neue Stücke gleich auswendig lernen
Wenn ich ein neues Stück erlerne, nehme ich mir einen kleinen Abschnitt vor und übe ihn so oft, bis ich ihn beherrsche. Dabei löse ich mich so früh es geht von den Noten und konzentriere mich nur auf die spieltechnischen Schwierigkeiten der Stelle. Häufig ist es sinnvoll, am Ende des Stückes zu beginnen, ansonsten spielt man die Stellen am Beginn des Stückes viel häufiger als den Schluss. Außerdem sind am Schluss häufig entscheidende und besonders schwierige Stellen zu finden, die man gleich am Anfang in Angriff nehmen sollte.
Für das Auswendiglernen am Klavier ist das Handgedächtnis eine sehr nützliche Komponente. Spielt man eine Stelle sehr häufig, können eure Hände nicht anders als sich die Stelle einzuprägen. Häufig unterschätzt wird die musikalische Analyse der Stelle. Ihr solltet euch überlegen, wie die Stelle musikalische aufgebaut ist und versuchen, ein tiefes Verständnis für die Musik zu entwickeln. Wer die Teile eines Stückes vom musikalischen Gesichtspunkt her versteht, wird es deutlich leichter haben, diese Stelle auswendig zu lernen und auch zu behalten. Jedoch ist dafür auch etwas musiktheoretisches Wissen nötig.
Mentales Spielen als guter Test
Eine wichtige Fähigkeit beim Perfektionieren eines Stückes ist das mentale Spielen. Wenn ihr eine bestimmte Passage aus dem Gedächtnis und ohne Klavier spielen könnt, ist diese gut im Gedächtnis verankert. Stellen, die mental nicht gespielt werden können, solltet ihr am Klavier auffrischen und das Gedächtnis dadurch auffrischen. Das mentale Spielen ist ein guter Test, ob das Stück bereits auswendig beherrscht wird. Für Konzertpianisten ist es außerdem eine unabdingbare Fähigkeit – das ganze vorzutragende Stück sollte mental gespielt werden können, bevor man es im Konzertsaal vorträgt.
Auswendiggelernte Stücke pflegen
Ein sehr nützliches Mittel, um sich bestimmte Dinge fest und dauerhaft zu merken, ist das Wiederauffrischen. Viele werden das noch aus der Schule kennen – wenn bestimmte Vokabeln ein paar Mal wiederholt werden, vergisst man sie häufig nie wieder. Werden sie jedoch nach dem ersten Mal Auswendiglernen nicht mehr wiederholt, sind sie recht schnell wieder vergessen. Ähnlich verhält es sich mit dem Auswendiglernen am Klavier. Einmal gelernte Stücke sollten gelegentlich wieder gespielt werden. Am besten sollten die Noten dabei griffbereit sein, um Unsicherheiten ausbessern zu können. Ich nehme mir jede Woche ein Stück aus meinem auswendig gelernten Repertoire vor, das ich wieder auffrische. Von Mal zu Mal habe ich dabei weniger Arbeit und das Auffrischen des Stückes geht deutlich schneller.
Insgesamt sprechen so viele Gründe für das Auswendiglernen am Klavier, dass es völlig unverständlich ist, wieso so viele Klavierspieler darauf verzichten. Meist geschieht das aufgrund von Bequemlichkeit oder falschen Methoden beim Üben. Stellt man jedoch die Herangehensweise an Stücke um und macht das Auswendiglernen zu einem festen Bestandteil, wird man schnell dafür belohnt. Und man kann auf Aufforderung und aus dem Stegreif immer ein Stück zum Besten geben.
Danke für die Informationen. Sehr guter Artikel, wirklich hilfreich.
Ich habe mit 11-15 Jahren Klavier- und Notenunterricht gehabt. Mein Vater wollte das. Ich habe widerwillig gelernt, ohne Talent, von auswendig spielen keine Spur.
Nun bin ich 64 , habe mir ein Keyboard gekauft und die Noten von Für Elise. Noten lesen kann ich noch, Nach drei Wochen tägliches Üben, abend beim Fernsehen mit einem Knopf im Ohr, bin ich völlig überrascht, wie gut es mir gelingt. Ich dachte ich hätte kein Talent, aber ich war wohl als Kind nur zu faul zum Üben.
Schwierige Stelle immer wieder üben. Und stelle ich fest, die Finger speichern immer mehr Takte. Die Triller laufen von allein. Die Noten prägen sich beiläufig ins Gehirn ein. Und nach 3 Wochen habe ich das Stück im Kopf. Auf dem Weg zur Arbeit spiele ich die drei Notenblätter im Kopf durch. Es ist unglaublich. Ich kann das oben voll bestätigen. Heute, mit 64 , habe ich Freude dran und den Willen mein Spiel zu perfektionieren
Guten Tag,
diese Historie passt genau zu der meinen. Bin zwar schon 83, will es aber auch auf diese Weise in Angriff nehmen. Und es macht schon Spass. VG dbeyer
Sehr schön, viel Erfolg dabei!
Ich danke Ihnen für den interessanten Artikel. Auswendig Lernen ist wirklich sinnvoll beim Klavier Spielen. Schwierige Stellen sollte man immer wieder wiederholen.
Mit besten Grüßen,
Jana
Freut mich, dass er Ihnen gefällt 🙂