Die Kunst der Phrasierung am Klavier – so klingt dein Spielen ausdrucksstärker


Du hast bestimmt schon einmal jemanden beim Klavier spielen zugehört, der alle Noten richtig gespielt hat, wo sich das Stück aber gleichzeitig irgendwie nicht rund und schön angehört hat. Gut möglich, dass das an mangelhafter Phrasierung gelegen hat. Wie du den gegenteiligen Effekt erzeugst und ein Stück damit ausdrucksstark vorträgst, lernst du in diesem Beitrag.

Was ist Phrasierung?

Phrasierung bezeichnet die Gestaltung von Tönen innerhalb einer musikalischen Phrase hinsichtlich Lautstärke, Rhythmik, Artikulation und Setzung der Pausen. Die Phrasierung ist also alles, was über das reine Notenbild hinausgeht. Indem du die Geschwindigkeit leicht veränderst, einzelne Töne etwas lauter spielst oder kurze Pausen setzt, hauchst du musikalischen Phrasen Leben ein und machst sie interessant.

Die Phrasierung gibt es übrigens nicht nur beim Klavier und anderen Musikinstrumenten, sondern auch beim Singen und Sprechen. Auch beim Sprechen kannst du durch Betonung von einzelnen Wörtern, kurze Pausen oder das Dehnen von Silben deinen Satz phrasieren.

Was ist der Unterschied zwischen Phrasierung und Artikulation?

Die Artikulation bezeichnet die Art und Weise, wie ein einzelner Ton gebildet wird oder wie aufeinanderfolgende Töne verbunden werden. Am Klavier also beispielsweise wie kurz die Töne angeschlagen werden und ob aufeinanderfolgende Töne verbunden werden. Gängige Artikulationsmodi sind staccato (gehackt), legato (Zusammenbinden der Töne) oder portato (getragen).

Bei der Artikulation geht es also eher um die Gestaltung von einzelnen Tönen und kurzen Tongruppen und bei der Phrasierung um die Gestaltung von längeren Abschnitten.

Phrasierungszeichen in den Noten

Früher wurde das Phrasieren komplett den Pianisten überlassen und das Erkennen von Phrasen vorausgesetzt. Der Musikwissenschaftler Hugo Riemann beschäftigte sich ab dem Ende des 19. Jahrhunderts intensiv mit dem musikalischen Vortrag und entwickelte eine erste Phrasierungslehre. Seit Riemann finden sich auch Phrasierungszeichen in den Noten und erleichtern es dir, ein Stück zu interpretieren.

 

Die Kunst der Phrasierung am Klavier - so klingt dein Spielen ausdrucksstärker
Phrasierungsbögen (Quelle: https://www.mein-klavierunterricht-blog.de/2013/02/25/legato-phrasierungs-und-haltebogen/)

Phrasierungsbögen kennzeichnen eine Phrase und fĂĽgen eine musikalisch sinnvolle Einheit zusammen. Sie sind nicht mit Legatobögen oder Haltebögen zu verwechseln, die ähnlich aussehen. In vielen Noten sind Phrasenbögen enthalten, die aber wie auch der Fingersatz immer nur ein Vorschlag sind. 

Neben den Phrasierungsbögen helfen dir auch Crescendo- und Descrescendozeichen, Akzentangaben und Atemzeichen (Komma) bei der Gestaltung der Phrase

Franz Titscher legt in seinem Online-Klavierkurs auch großen Wert auf das Erlernen der Phrasierung. 

So meisterst du die Phrasierung

Eine gute Phrasierung unterscheidet ein langweiliges, mechanisches Runterspielen von Noten von einem lebendigen Vortrag eines Stückes. Damit dein Klavierspiel deine Zuhörer (und natürlich auch dich selbst) begeistert, solltest du großen Augenmerk auf die Phrasierung legen. Im Folgenden gebe ich dir ein paar Hilfen mit, wie du deine Phrasierung perfektionieren kannst.

Legatospiel: Wichtiger SchlĂĽssel fĂĽr die Phrasierung

Ein wichtiger Bestandteil einer schön klingenden Phrase ist ein gutes Legato. Ob Noten als einzelne Töne oder als zusammenhängende Phrase wahrgenommen werden, hängt sehr von der Verbindung zwischen den Noten (dem Legato) ab. Wie beim Sprechen auch die flüssige Verbindung von Silben erst einen harmonischen Satz ergeben, macht das Legato aus Tönen Musik. Natürlich gibt es auch Stellen, wo bewusst Staccato eingesetzt wird, ein flüssiges Legato ist aber doch der Regelfall bei vielen Klavierstücken.

Im Optimalfall lehrt dich der Klavierlehrer bereits früh, wie du ein gutes Legato spielst. Wenn du dir selbst das Klavierspielen beigebracht hast oder dein Unterricht einfach lange zurückliegt und dein Legato etwas eingerostet ist, solltest du regelmäßig dein Legato üben. Experimentiere bewusst mit bestimmten Stellen:

Spiele sie komplett Staccato und dann mit völlig ĂĽbertrieben Legato und keiner Pause zwischen den Noten. Versuche, ohne Pedal die Noten schön zu verbinden, sodass ein schöner harmonischer Klang entsteht. 

Dynamische Gestaltung von Phrasen

Eine weitere wichtige Variable bei Phrasen ist die Gestaltung der Lautstärke (Dynamik). Im Gegensatz zu anderen Instrumenten und dem Gesang kannst du am Klavier die Lautstärke nach dem Anschlag nicht mehr verändern. Deshalb ist eine gute und durchdachte dynamische Gestaltung besonders wichtig und auch nicht ganz einfach.

Indem du in einer Phrase bewusst die Stärke des Anschlags variierst, klingt diese deutlich interessanter, als wenn es ein Brei von gleich lauten Tönen ist. Bei vielen Phrasen gibt es einen Höhepunkt, der häufig am lautesten gespielt wird. Die Vorbereitung dieses Höhepunkts mit einem Crescendo und das Abklingen danach mit einem Crescendo hilft dabei, diesen besonders hervorzuheben. 

Phrase aus Chopins Nocturne No2
Eine Phrase aus Chopins Nocturne Op 9/2

In vielen Notenausgaben helfen dir Crescendo- und Descrescendozeichen beim Gestalten von Phrasen. Ăśberlege dir auch bei Stellen ohne diese Angabe, wie du ihr mehr Leben einhauchen kannst. Ăśbertreibe dabei auch mal bewusst, um ein GespĂĽr fĂĽr das richtige MaĂź zu bekommen. Schreibe dir Stichpunkte zu deiner Interpration unbedingt auch in die Noten, damit du dich immer daran erinnerst.

Mit dem Tempo spielen

Ein weiteres wichtiges Gestaltungsmittel ist die Gestaltung des Tempos mittels Agogik und Rhythmik. Besonders „scharf“ gespielte punktierte Noten, ein gezieltes ritardando oder ein komplettes Rubato (freies Tempo) an gewissen Stellen sind alles kleine „Stilmittel“, mit denen du Phrasen gestalten kannst.

Welche davon passend sind, hängt auch stark von der Musikrichtung ab. Bei Stücken aus der Romantik kannst du sehr viel freier mit dem Tempo umgehen als bei Barockmusik, wo das Ritardando am Schluss des Stücks einen hohen Stellenwert hat. Nochmal komplett anders sieht das natürlich bei Jazz- oder Popmusik aus.

Versuche, mit dem Tempo gezielt zu experimentieren und auch hier bewusst zu in beide Richtungen zu übertreiben. Wenn du ein Tempo gefunden hast, mit dem du die Stelle gut zum Ausdruck bringen kannst, zeichnest du dir am besten auch Verzögerungszeichen in die Noten.

Denke wie ein Sänger

Ein wirkungsvolles Hilfsmittel bei der Phrasierung: Denke wie ein Sänger. Versuche, die Melodie mit möglichst viel Ausdruck zu singen. Stell dir vor, du bist ein schmalziger Belcanto-Sänger und legst alles in die Phrase, was du hast. Selbst, wenn du Singen nicht als deine Stärke siehst, kannst du diese Hilfe nutzen. Oder du stellst dir einfach nur vor, wie ein guter Sänger diese Phrase gestalten würde.

  • Wann wĂĽrde er atmen?
  • Wann wĂĽrde er eine kurze Pause machen?
  • Welche Töne wären besonders laut oder betont?
  • Wie wäre das Tempo gestaltet?

Anschließend überträgst du diese Phrasierung auf dein Klavierspiel. Ich bin mir sicher, sie wird sich danach ein gutes Stück ausdrucksstärker anhören.

Mehr zum Thema gefĂĽhlvoll und ausdrucksvoll spielen findest du in diesem Beitrag >

Ich hoffe, diese Tipps helfen dir und du ziehst deine Zuhörer in Zukunft mit einer tollen und ausdrucksstarken Gestaltung von Phrasen in deinen Bann.


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  1. Hallo, das ist alles gut und schön was geschrieben wurde, aber was ist wenn man
    nur ein E-Piano Zuhause hat wie z.b. das von Casio px 770. Das hört sich da nicht nach akustischen Klavier an?

    1. Ja – das gilt auch fĂĽr das E-Piano! Da kann man genauso viel gestalten und phrasieren 🙂

    2. Beim E-Piano,welches auch ich spiele,unbedingt weiche Anschlagdynamik einstellen. Weiterhin ruhig auf Dauer auf dem Pedal bleiben,das lässt das E-Piano resonanzvoller klingen,eben so wie ein klassisches Piano von Natur aus klingt. Versuchs mal

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