Du findest ein neues Klavierstück, legst dir die Noten aufs Pult, beginnst zu spielen und schon erfüllen himmlische Klänge das Zimmer…Wer träumt nicht davon, Stücke einfach vom Blatt spielen zu können. Viele, die ich kenne, behaupten hartnäckig, sie könnten einfach nicht vom Blatt spielen. Doch ich behaupte, es ist eine Fähigkeit, die man genauso üben kann, wie Fahrrad fahren. Hier möchte ich dir meine Top-Tipps für ein besseres Blattspiel geben.
Blattspiel leider nur selten Bestandteil vom Klavier-Unterricht
Klassischer Klavier-Unterricht lehrt meistens nur das Einüben von neuen Stücken. Bei einem guten Klavierlehrer ist vielleicht noch Musiktheorie (wohl dosiert) dabei, doch Blattspiel wird nur sehr selten gelehrt.
Klar, man lernt Notenlesen und meistens probiert man im Unterricht das neue Stück mal aus, aber ein wirkliches Prima Vista-Training gibt es nur selten. Ich finde das sehr schade, denn wenn du ein paar Dinge beachtest, kannst auch du ein guter Blattspieler werden. Auch wenn du dich für untalentiert hältst.
Ich war fast meine komplette Klavier-Karriere ein eher mäßiger Blattspieler. Im Noten lesen war ich ganz passabel, aber mit dem Rhythmus erkennen hatte ich große Schwierigkeiten (auch heute noch meine Schwachstelle). Durch konsequentes Üben wurde ich aber immer besser und mittlerweile zählt das Blattspiel zu meinen Stärken. Soviel zu mir – jetzt möchte ich dir erklären, wie auch du dich im Prima Vista-Spiel verbessern kannst.
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1. Analysiere das Stück
Bevor du losgaloppierst und dich im Notendschungel verhedderst, solltest du dir etwas Zeit nehmen, um das Stück etwas zu analysieren. Keine Angst, du musst nicht jeden Akkord benennen und die Kadenzen entschlüsseln. Aber führ dir die wichtigsten Merkmale des Stücks vor Augen.
- In welcher Tonart steht das Stück?
- Welche Taktart?
- Ist das Stück eher homophon oder eher polyphon?
- Wo liegt die Melodie? In der Oberstimme, im Bass oder in typischer Liszt-Manier mittendrin?
- Ist das Stück langsam oder schnell?
- Wie könnte der Charakter des Stücks sein (soweit du das vom reinen Notenbild beurteilen kannst)?
All diese Fragen helfen dir, eine Vorstellung davon zu bekommen, wie das Stück klingen soll. Und je genauer deine Vorstellung ausgeprägt ist, desto leichter fällt dir das Spielen.
Wenn du schon etwas fortgeschrittener bist, kannst du deine Analyse auch etwas weiter vertiefen. Aus welchen Dreiklängen besteht die Begleitung? Welche Tonleiter muss gespielt werden? In welche Tonart moduliert das Stück zwischendurch?
Je mehr du von Musiktheorie verstehst, desto schneller nimmst du Informationen aus dem Notenbild auf. Du erkennst dann zum Beispiel sofort, dass E, G und C die zweite Umkehrung eines C-Dur-Dreiklangs ist, den du schon hundertmal gespielt hast, und musst nicht die Noten einzeln zusammensuchen und zusammensetzen.
2. Zähle laut mit
Die richtigen Noten zu spielen, ist leider nur die halbe Miete beim Blattspiel. Damit sich der Komponist nicht im Grab umdreht (falls er nicht mehr lebt), muss auch der Rhythmus stimmen. Wie ich schon erwähnt habe, hatte ich da sehr große Schwierigkeiten. Besonders punktierte Noten oder zusammengebundene Notenwerte machten mir sehr zu schaffen.
Die beste Methode, dich darin zu verbessern: Zählen! Im Klavier-Unterricht lernt man normalerweise, wie man laut zählt. Auch mir wurde das immer wieder eingetrichtert, aber ich habe es stets gehasst. Vielleicht war deswegen mein Rhythmus-Lesen lange so schlecht.
Wenn du nicht weißt, wie man laut zählt, findest du hier eine gute Anleitung.
Besonders bei modernen Songs oder Stücken mit synkopischen Rhythmen kommst du ohne Zählen nicht sehr weit.
Spiele langsam und zähle laut mit, so schulst du dein Rhythmus-Gefühl. Das Endziel ist dann, dass das Zählen irgendwann innerlich abläuft und du ganz automatisch die richtigen Notenwerte spielst.
3. Augen weg von den Tasten!
Je länger du Klavier spielst, desto mehr bekommst du ein Gespür für die Position einzelner Tasten. Ähnlich wie beim Tastenschreiben am Computer musst du mit der Zeit immer weniger auf die Tasten schauen.
Spielst du ein Stück auswendig, kannst du es dir erlauben, den Blick die ganze Zeit auf die Tasten zu richten. Aber je mehr du auf die Noten angewiesen bist (und das ist beim Blattspiel maximal der Fall), desto „schlechter“ ist es, ständig auf die Tasten zu schauen.
Wenn du schon lange Klavier spielst, dürftest du nicht mehr oft das Bedürfnis haben, auf die Tasten zu sehen. Bist du noch nicht soweit, versuch es, dir mehr und mehr anzugewöhnen, auch auf die Gefahr hin, dass mal ein falscher Ton mehr dabei ist.
4. Üben!
Der letzte Tipp ist der wichtigste. Übung macht den Meister! Was nach einer abgedroschenen Phrase klingt, du schon nicht mehr hören kannst, ist beim Blattspiel (mindestens) genauso wichtig wie bei jeder anderen erlernbaren Fähigkeit.
Selbst ausgezeichnete Prima Vista-Spieler haben lange geübt, bis sie in der Lage zu waren, mühelos polyphone Stücke vom Blatt zu spielen.
Auch wenn es vielleicht mühsam ist und du ein Stück nur im viertelten Tempo spielen kannst – bleib dran und übe regelmäßig das Blattspiel. Vielleicht nimmst du dir vor, am Anfang oder am Ende jeder Übesession ein bisschen etwas vom Blatt zu spielen.
Wichtig ist auch, dass du dir dafür Stücke suchst, die dich nicht über- und auch nicht unterfordern. Gut geeignet für das Prima Vista-Üben sind zum Beispiel Sonatinen oder kleine Tänze. Wenn du schon etwas besser im Blattspiel bist, kannst du dich langsam an leichte polyphone Stücke wagen.
Der Musiker Ludwig Martin Jetschke („Lingualpfeife“), der einen sehr empfehlenswerten YouTube-Channel für Klavier und Orgel betreibt, spricht von „Noten fressen“:
Nimm dir dazu einfach ein Notenheft und spiele es von vorne bis hinten durch. Das Tempo ist relativ egal, aber spiele am besten mit möglichst wenigen Fehlern.
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Bleib dran!
Du wirst sehen, dass du mit der Zeit immer besser wirst und sich schnell die ersten Erfolge einstellen. Bleib unbedingt dran, denn gut vom Blatt spielen zu können, ist eine tolle Fähigkeit. Als guter Blattspieler kannst du unter anderem
- spontan ein Soloinstrument oder Gesang begleiten
- etwas vorspielen ohne üben zu müssen
- spontan Kammermusik machen
- schneller neue Stücke lernen
Also, üb dein Blattspiel – es lohnt sich!
Ich danke Ihnen für den interessanten Artikel. Das vom Blatt Spielen kann man lernen. Dazu gehört natürlich sehr viel Übung.
Mit besten Grüßen,
Manuel von https://major-movez.de/de/artists
Das stimmt, es sollte am besten fester Bestandteil vom Üben sein 🙂