Barockmusik verbinden viele Pianisten mit Eintönigkeit und Ausdruckslosigkeit. Viele machen daher einen weiten Bogen um Bach und Händel und greifen lieber zu klassischen, romantischen oder modernen Komponisten. Doch was, wenn ich dir verrate, wie Barockmusik am Klavier richtig Spaß machen kann?
Der Barock ist eine der bedeutendsten Epochen der Musikgeschichte und hat bis heute einen großen Einfluss auf die Musikwelt. Er zeichnet sich durch komplexe Kompositionen aus, die für viele Pianisten eine Herausforderung sein kann. Um die Schönheit und Emotionen der Barockmusik zum Klingen zu bringen, bedarf es nicht nur technischer Fähigkeiten. Vielmehr sind die richtige Interpretation und Umsetzung der Musik die Mittel, um der Komposition Ausdruck zu verleihen.
Im Gegensatz zu beispielsweise romantischen Stücken, bei denen die Notentexte viel Dynamik und Artikulation vorgeben, sind die Angaben bei barocken Noten oft spärlich. Darf ich das Pedal benutzen? Darf ich ein Crescendo einbauen und wie soll ich artikulieren? All diese unbeantworteten Fragen führen oft dazu, dass man diese barocken Stücke strikt nach den Noten und gänzlich ausdruckslos spielt.
Der Artikel beschäftigt sich mit verschiedenen Methoden und Techniken, die dir helfen, Barockmusik am Klavier lebendig zu machen.
Pedal – ja oder nein?
Zu Lebzeiten von Barockkomponisten wie Johann Sebastian Bach wurde noch nicht auf dem modernen Klavier, sondern dem Cembalo gespielt, wo es noch gar kein Pedal gab. Die Verwendung vom Haltepedal würde bei den meisten Stücken auch den exakten Klang und die klaren Harmonien verwischen, die ja nicht für Instrumente mit Pedal komponiert wurden. Viele Musiker plädieren also für ein strenges Pedalverbot in der Barockmusik. Doch hätte Bach es nicht vielleicht selbst ab und zu benutzt, wenn er die Möglichkeit gehabt hätte?
Man sieht immer wieder Profi-Pianisten, etwa den berühmten ungarischen Bach-Interpreten András Schiff, die das Pedal für Barockmusik am Klavier benutzen. Natürlich sollte das nicht übermäßig der Fall sein. Üben solltest du barocke Stücke auch immer ohne Pedal. Wenn die Bindung des Klanges per Hand möglich ist, also indem du die Töne mit den Fingern hältst, dann sollte das bestmöglich so gemacht werden. Wenn das Haltepedal deiner Meinung nach den Klang verbessert, dann gibt es niemanden, der dir verbieten kann, es zu benutzen.
Johann Sebastian Bach wird wohl kaum aus dem Grab aufstehen und dir Einhalt gebieten. Es ist immer noch deine Interpretation 🙂
Dynamik bei Barockmusik
Die Dynamik ist eins der wichtigsten Mittel, um Musik Ausdruck zu verleihen. Doch wenn in Barockstücken keine Dynamikangaben zu finden sind, darf man dann überhaupt Unterschiede in der Lautstärke spielen? Die Antwort ist: natürlich!
Forte und piano
Grundsätzlich gilt es, den natürlichen Charakter der jeweiligen Passagen zu verstehen und wiederzugeben. Diesen erkennst du oft am Tempo und an der Textur der Noten. Schnelles Tempo und kurze, punktierte Notenwerte in der Struktur von mehrstimmigen Akkorden lassen sich nur schwer leise spielen. Der natürliche Charakter impliziert hier eindeutig ein forte, das man auch ausdrücken darf.
Betrachte als Beispiel folgenden Notenausschnitt aus der Partita Nr. 2 von Bach:
Langsamere Passagen, etwa im „Largo“, in denen vielleicht nur zwei Stimmen gleichzeitig klingen, würden somit – nicht immer, aber oft – eher etwas leiser gespielt werden.
Als Beispiel die Variation 1 von Händels berühmter Sarabande:
Oft sagt auch der Name des Stücks bereits den Charakter aus. Liest du bei einem barocken Stück „Courante“ oder „Gigue“, ist die Stimmung eher forte, während eine „Sarabande“ einen ruhigeren Charakter hat.
Crescendo und Diminuendo
Auch wenn diese dynamischen Figuren im Notentext meist nicht angegeben sind, da Barockmusik ursprünglich auf dem Cembalo gespielt wurde, wo solche dynamischen Übergänge nicht wie auf dem Klavier möglich waren, dürfen sie trotzdem verwendet werden.
Zwei Regeln, an die du dich in den meisten Fällen halten kannst:
Ein melodisch aufsteigender Lauf wird üblicherweise mit crescendo betont, um den Höhepunkt anzukündigen und zu unterstreichen. Parallel dazu spielt man Läufe nach unten in der Regel mit einem diminuendo – also leiser werdend.
Eine Ausnahme besteht, wenn lange Läufe bis in niedrige Tiefen der Tastatur gespielt werden. Denn melodische Läufe in extreme Höhen und Tiefen sollten immer hervorgehoben werden, dort würde man also in beiden Fällen ein crescendo vornehmen.
Artikulation
Die Artikulation in der Musik bestimmt, ob Töne lang oder kurz gespielt werden und wie sie miteinander verbunden sind. Die beiden wichtigsten gegensätzlichen Spielweisen sind dabei Staccato und Legato. Während klassische Komponisten wie Beethoven in ihren Stücken genau angeben, wie sie ihre Noten artikuliert haben möchten, wirst du in der Barockmusik nur wenige Informationen darüber finden. Wie bestimmt man also die Artikulation?
Hierbei gibt es keine klaren Regeln, die Ausführung liegt ganz bei dir. Jedoch gibt es meistens ein paar bestimmte Versionen, die sich besonders gut bzw. natürlich anhören.
Die Mischung machts: Nur stacchato bzw. nur legato wird deine Zuhörer langweilen. Eine Kombination aus beiden ist die richtige Herangehensweise, jedoch nicht komplett willkürlich, sondern den Charakter der Phrasen berücksichtigend.
Phrasierung: Phrasen sind zu betonen, indem man sie voneinander abtrennt. Der letzte Ton, bevor eine neue Phrase beginnt, ist daher in der Regel kurz. Eine Phrase ist nichts weiter als ein Motiv, eine Reihe an Tönen, die gefühlsmäßig zusammengehören. Singe die Melodie nach und du wirst feststellen, dass du automatisch absetzt, sobald du eine Phrase beendest und versuche nun, das auf dein Klavierspiel anzuwenden.
Mehr über Phrasierung liest du hier.
Je größer das Intervall, desto getrennter: Das ist keinesfalls eine fixe Regel, aber in der Tendenz oft ein guter Ansatz. Musikalische Figuren, die mit Ganz- oder Halbtonschritten verbunden sind, würde man tendenziell eher legato spielen. Sprünge mit größeren Intervallen dagegen trennt man oft.
Pause vor Akzent: Je mehr du vor einer Note trennst, desto mehr betonst du sie. Willst du einen Akzent setzen, setze also vorher mit einer kurzen Pause ab. Synkopen sind grundsätzlich betont, deswegen sollte man auch vor einer Synkope trennen.
Struktur beibehalten: Hast du dich für eine Art der Phrasierung entschieden, dann behalte diese auch bei, wenn die Passage wiederholt wird bzw. sich abgewandelt im späteren Verlauf wiederfindet. Das Durchprobieren verschiedener Stile in einem Stück ist störend beim Fluss der Melodie.
Zur Verdeutlichung hier ein Beispiel:
In der Originalfassung finden sich keine Artikulationsangaben. Es ist aber empfehlenswert, die Achtel, die sprunghaft klingen sollen, zu trennen, während man die Sechzehntelpassage, die durch Sekundenintervalle verbunden sind, legato spielt.
Der höchste Ton der Phrase soll betont werden – er wird also akzentuiert, indem er vom Ton davor getrennt wird.
Man kann außerdem gut erkennen, dass, sobald eine Phrase beendet ist, der letzte Ton kurz gespielt wird. Beispielsweise endet die erste Phrase in der rechten Hand in Takt drei auf einem staccatierten f. In der linken Hand wird diese Phrasierung dann genau so übernommen.
Tempo
Die Wahl des richtigen Tempos ist enorm wichtig. Spielt man ein langsames Stück viel zu schnell oder umgekehrt, verfälscht das die Stimmung total, die der Komponist ursprünglich ausdrücken wollte. Entweder es ist eine Tempobezeichnung angegeben, oder du kannst es dir anders herleiten. Folgende Parameter helfen dir beim Bestimmen des Tempos:
Musikalische Tempobezeichnungen: falls du Bezeichnungen wie „Andante“ oder „Adagio“ liest, kannst du die Geschwindigkeit ganz einfach übernehmen. Zur Orientierung hier noch einmal die musikalischen Tempi mit den Schlägen pro Minute, wie du sie am Metronom einstellen kannst:
Taktarten: falls kein Tempo vorgegeben ist, sagt auch die Taktart etwas über die Geschwindigkeit des Stückes aus. Je höher dabei die untere Zahl der Taktangabe, desto schneller das Tempo. Ein 1/2 und 2/4 Takt sind im Prinzip das gleiche, jedoch ist der 2/4 Takt etwas lebhafter. Ein 3/8 Takt beispielsweise wäre noch etwas schneller.
Tanzarten: Die einzelnen Stücke einer Suite in der Barockmusik sind eigentlich Tänze. Die Art des Tanzes entspricht einer bestimmten Geschwindigkeit. Eine Suite ist dabei immer in folgender Reihenfolge aufgebaut:
- Allemande: eher langsam, gemächlich
- Courante: eher schnell
- Sarabande: langsam und ruhig
- Gigue: schnell, belebt
Agogik
Agogik bezeichnet in der Musik eine Tempoveränderung. In der Romantik, wo besonders expressiv gespielt wird, baut man häufiger einmal ein accelerando oder ritardando ein. Ist das auch in der Barockmusik erlaubt?
Grundsätzlich ist diese Spielweise in der Barockmusik nicht üblich. Zumindest wurde sie nicht notiert, leider hatten Bach und Co. damals noch nicht die Möglichkeit, ihre Musik aufzunehmen. Man weiß also nicht, ob diese rhythmische Figuren verwendet wurden. Was man allerdings häufig hört, ist ein kleines ritardando in Kadenzen am Satzende, beispielsweise von einem Tanzsatz. Häufig wird dieses ritardando jedoch auskomponiert und notiert, durch sogenannte Hemiolen, also Taktüberbindungen, die für einen Effekt der Verbreiterung sorgen.
Rhythmus
Beim Rhythmus in der Barockmusik gilt vor allem zu beachten, dass Punktierungen variabel gespielt werden können. Dabei kann man eine punktierte Note standardmäßig um die Hälfte des eigentlichen Wertes länger, oder etwas darunter (Unterpunktierung) oder darüber (Überpunktierung) spielen. In einer „französischen Overtüre“ zum Beispiel im Barock wird üblicherweise überpunktiert. Die Unterpunktierung ist vor allem aus dem Swing bekannt.
Du hast also, was den Rhythmus betrifft, einen gewissen Spielraum, außer die Notation beinhaltet ein rhythmisches Schema, an das du dich anpassen musst. Sind zum Beispiel in der linken Hand Triolen notiert, ist eine Punktierung in der rechten Hand standardmäßig (um die Hälfte länger als der Notenwert) gedacht, damit die Töne gleichzeitig mit der ersten und dritten Triole erklingen.
Ornamentik
Zu guter letzt beschäftigen wir uns mit Verzierungen. In Barockstücken wird meist nicht an Trillern gespart, doch bei den vielen unterschiedlichen Arten kommt man oft durcheinander, wie man die Verzierung spielen soll.
Wer gerne Bach spielt, kann sich an dem von ihm selbst angelegten Verzeichnis orientieren, das überliefert wurde. Dort hat er einzeln aufgeführt, wie die jeweilige Verzierung zu spielen ist.
Fazit
Ja, es gibt einige Regeln, an denen man sich beim Spielen von barocken Stücken orientieren soll. Doch trotzdem bleibt ausdrucksvolles Spielen natürlich erlaubt! Das Schöne am Klavierspielen ist doch, ein Stück so zu interpretieren, wie du es gerne rüberbringen möchtest.
Sei es Dynamik, Artikulation oder Rhythmus: in allen Kategorien kannst du nach deinem eigenen Ermessen einen gewissen Spielraum ausnutzen und Leben und Klang in die Stücke bringen.